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Herrlichkeit im Hinterzimmer

Katrin Carrel Katrin Carrel

Wer bin ich in meinen eigenen vier Wänden? Wer bin ich im Hinterzimmer meiner Privatsphäre?  Die Antwort darauf bestimmt, wie ich durch diese Krise komme.

Ich habe eine grüne Kartonmappe im Schrank, in der ich alle wichtigen Dokumente aufbewahre: Zeugnisse, Diplome, Familienbüchlein, Tauf-Urkunden, usw. Wir sind früher sehr oft umgezogen und diese Mappe hat uns immer begleitet. In dieser Mappe gibt es auch die Kopie eines Schwarzweiss-Fotos.

Das Foto zeigt chinesische Christen, die sich trotz schwerer Verfolgung versammeln und Abendmahl feiern. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern ist unbeschreiblich. Auf ihren Gesichtern spiegelt sich eine überirdische Freude. Für mich ist es ein Ausdruck von Gottes Herrlichkeit. Diese Christen treffen sich in Hinterzimmern, in kleinen Häusern auf dem Land oder auf dem freien Feld. Sie leben in ständiger Bedrohung, aber sie pflegen die Gemeinschaft mit Gott und mit ihren Glaubensgeschwistern. Diese Herrlichkeit auf ihren Gesichtern kommt aus einem Leben, das Gott von Herzen liebt und anbetet. Sie kommt aus der Begegnung mit dem realen, transzendenten Gott.

Die andere Frage

In meinem neuen Covid-19-Alltag haben mich viele Fragen beschäftigt: Wie machen wir das Beste aus dieser Situation? Wer bin ich in der Bewährungsprobe der Pandemie? Was bleibt übrig von dem, was mir wichtig ist? Bin ich bereit zu teilen und zu verzichten? Was trägt mich und meine Mitmenschen, wenn die Zukunft so viel Ungewissheit bringt? Was zählt letztendlich - sogar über den Tod hinaus?

«Wer bist Du, wenn niemand zuschaut?»

Diese Frage hat der Leiter des Missionswerks «Jugend mit einer Mission» Floyd McClung vor über 20 Jahren gestellt. Und diese Frage hat mich seither immer wieder begleitet. Wer bin ich in meinen eigenen vier Wänden? Wer bin ich im Hinterzimmer meiner Privatsphäre? Worin investiere ich meine Zeit, mein Geld, meine Energie? Die Antwort auf diese Frage wird bestimmen, wie ich durch diese Krise komme.

Blurred Thinking
Photo by Laurenz Kleinheider / Unsplash

Die Pandemie hält uns den Spiegel vor

Die Covid-19 Pandemie hält uns den Spiegel vor: Wer bin ich, wenn ich unter Druck gerate? Wie steht es mit meiner Solidarität, wenn Individualismus bequemer wäre? Oder anders gefragt: Wie stark ist meine Nächstenliebe und wo ist ihre Quelle? Wie geht es meinen Familienangehörigen, wenn wir so viel Zeit miteinander verbringen und wie steht es um die Qualität unserer Beziehungen? Der Lockdown ist eine einzigartige und nicht ganz freiwillige Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen und falls nötig etwas zu unternehmen, um diese Beziehungen zu stärken und zu verbessern – jetzt und nachher.

Ich muss sagen, mein Nervenkostüm war auch schon besser. Da sind so viele extra Sorgen, zusätzliche Arbeitsstunden, die Notwendigkeit, in kurzer Zeit ganz viel Neues zu lernen, damit der Unterricht digital weitergehen kann. Immer wieder sind wir konfrontiert mit Ungewissheit, aber auch mit Krankheit und Tod von Mitmenschen und Angehörigen. Das alles sorgt für so manche «Grenzerfahrung», macht mir meine beschränkten Ressourcen und die Zerbrechlichkeit der Menschen bewusst.

Neben dem Blick in den Spiegel ermöglicht mir diese Krise einen Blick auf den Tacho meines Lebens. Wenn so viele Anlässe «ausser Haus» nicht möglich sind, wird das Leben entschleunigt. Was treibt mein Leben normalerweise an? Was füllt meine Agenda manchmal mehr als mir lieb ist? Welches Lebenstempo will ich in Zukunft anstreben? Wo kann ich etwas weglassen und wo sind es gute Gründe, die meinen Zeitplan ausfüllen? Ich staune, wie oft es nicht nur die Arbeit ist, sondern auch die Freizeit, die das Potential hat, mich in einem atemlosen Rhythmus durchs Leben zu treiben.

Muriwai mailboxes
Photo by Mathyas Kurmann / Unsplash

Überwiegend positiv erlebe ich den Blick in meinen Briefkasten. Die Qualität der Mitteilungen und Informationen, die mich über elektronische Medien, aber auch auf analogem Weg erreichen, hat deutlich zugenommen. Da ist weniger Zynismus, weniger Selbstdarstellung und weniger Belanglosigkeit. Dafür mehr Solidarität, viele kreative Tipps, Humor, persönliche Beiträge mit Substanz und Erinnerungen, die wirklich zählen. Eine Begegnung, ein Telefongespräch, digitale Mitteilungen haben wieder einen grösseren Wert und mehr Tiefe bekommen. Man freut sich, einander zu begegnen. Aus dem hastigen «Gaht’s guet?» ist wieder ein «Hoi, wie gaht’s?» geworden. Auch der eine oder andere Freund, Arbeitskollege oder Angehörige nimmt sich Zeit und besucht probeweise den Online-Gottesdienst. Das freut mich sehr.

Photo by Jason Dent / Unsplash

Der Blick auf die Waage – schwer genug?

Während wir per Fitness-App versuchen der physischen Gewichtszunahme entgegenzuwirken, lohnt es sich auch, über das Gewicht unseres Innenlebens nachzudenken. Im Buch des Propheten Daniel lesen wir, wie Gott den babylonischen König Belsazar damit konfrontiert, dass sein Leben trotz Macht und Reichtum in Gottes Augen ein ungenügendes Gewicht hat. Gott spricht ein hartes Urteil über Belsazar. Er zieht ihn zur Rechenschaft dafür, dass ihm Macht und Erfolg zu Kopf gestiegen sind. Gott führt ihm durch Daniel vor Augen, dass er seine Vorherrschaft, seine aussergewöhnliche Position unter den Nationen, ja dass er sogar jeden Atemzug Gott verdankt und nicht sich selbst. Und anstatt dankbar zu sein, wurde Belsazar stolz und vermessen. Für sein privates Festmahl hat er Gefässe aus dem Tempel Gottes in Jerusalem benutzt, die für Gottesdienste reserviert waren. Demut und Dankbarkeit hätten seinem Leben ein Gewicht gegeben, das auf Gottes Waagschale etwas gezählt hätte.

Wie steht es mit unserem Leben? Wieviel Gewicht bringen wir auf Gottes Waage? Sind wir Gott dankbar und setzen wir Prioritäten, die auch in Gottes Augen wichtig sind? Bringe ich meine Dankbarkeit Gott gegenüber zum Ausdruck, auch in meinen eigenen vier Wänden?

Ich bin nun seit vielen Jahren Christ und staune, wie stark ich mich daran gewöhnt habe, dass mich jemand anderes als ich selbst zur Anbetung Gottes motiviert. Dabei meine ich weniger das Beten, ich meine das Singen. Es ist eine grossartige Sache, mit Liedern Gott zu danken, im Angesicht von Schwierigkeiten und beängstigenden Situationen auf Gott zu schauen und seine Güte und Macht zu proklamieren. Gottes gute Pläne wurden nicht abgesagt! Seine Liebe und seine Treue sind unermesslich gross und beständig. Diese Momente, in denen ich in meinem Zimmer Zeit mit Gott verbringe, erfüllen mich mit neuem Mut und bewegen etwas. Diese Zeiten helfen mir, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Diese Zeiten sind zu selten.

Photo by Frank Albrecht / Unsplash

Herrlichkeit im Hinterzimmer

Jesus hat ein erstaunliches Gespräch geführt mit einer samaritanischen Frau. Die Frau traf Jesus in der Mittagshitze an einem Brunnen. Zunächst bat Jesus sie einfach, Wasser für ihn zu schöpfen. Das darauffolgende Gespräch nahm eine überraschende Wendung. Jesus sprach mit ihr darüber, dass wir Menschen nicht nur Wasser brauchen für das äusserlich sichtbare Leben, sondern das Lebenswasser Gottes für unseren inwendigen Menschen.

Jesus antwortete: »Wenn du wüsstest, welche Gabe Gott für dich bereithält und wer der ist, der zu dir sagt: `Gib mir zu trinken´, dann wärst du diejenige, die ihn bittet, und er würde dir lebendiges Wasser geben.«
»Aber, Herr, du hast weder ein Seil noch einen Eimer«, entgegnete sie, »und dieser Brunnen ist sehr tief. Woher willst du denn dieses lebendige Wasser nehmen?
Jesus erwiderte: »Wenn die Menschen dieses Wasser getrunken haben, werden sie schon nach kurzer Zeit wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird niemals mehr Durst haben. Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer nie versiegenden Quelle, die unaufhörlich bis ins ewige Leben fließt.
(Johannesevangelium, Kap. 4, Vers 10-11 und 13-14)

Im Verlauf des Gesprächs wurde klar, dass nicht Jesus der Bedürftige ist, der durstig vor einem tiefen Brunnen steht. Es ist vielmehr umgekehrt: Ohne die Beziehung zu Gott, stehen wir Menschen durstig da. Wir stehen vor einem Brunnen, der zu tief ist für uns und für den wir kein Schöpfgefäss haben.

Es gibt nur einen im Universum, der ein Schöpfgefäss hat und tief genug hinuntergestiegen ist, um dieses lebendige Wasser heraufzuholen: Jesus Christus.

Die Frau hat Jesus recht gegeben und sein Angebot angenommen.

Dieses Eingeständnis ist ein wichtiger Schlüssel, damit wir am Ende nicht wie ein Fliegengewicht vor Gott stehen. Es ist wichtig, Gott gegenüber demütig und respektvoll zu sein. Ja, es braucht Demut und Dankbarkeit, um uns von Jesus einen Zugang zu Gott schenken zu lassen. Dieser Zugang ist eine Quelle, auf die wir aus uns selbst keinen Zugriff haben. Unser Leben ist zerbrechlich. Wir brauchen Gottes Hilfe. Wir brauchen das lebendige Wasser. Wir brauchen Gottes Herrlichkeit in unserem Hinterzimmer.

Herrlichkeit im Hinterzimmer
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