Identität (Teil 7)

Emanuel Hunziker Emanuel Hunziker

Die Jesus-Identität ist nicht totalitär! Sie zerstört die anderen Anteile deiner Identität nicht, sondern stuft sie lediglich zurück, weil du nun zuallererst ein Gotteskind bist.

Tim Keller definiert vier einzigartige Merkmale der Jesus-Identität. Die ersten beiden Merkmale haben wir in Teil 6 angeschaut. Nun kommen wir zum dritten Merkmal.

3. Eine einzigartige kulturelle Flexibilität

Alle Identitäten sind bis zu einem Grad vielschichtig. Deine Volkszugehörigkeit, deine Rasse, dein Beruf, deine Religion sind alle Teil deiner Identität, aber je nach Person in einer anderen Mischung und unterschiedlich priorisiert. Jeder Mensch hat eine andere Zusammensetzung seiner Identitäts-Komponenten.

Beispiel 1

Ein Mann aus der Türkei kommt in den 80-er Jahren in die Schweiz und zieht in die Stadt Zürich, um hier seine Familie gross zu ziehen. Er ist Türke und kommt in eine zunehmend pluralistische, westliche Gesellschaft. Seine türkische Art wird hier viel mehr sichtbar, als in der Türkei, wo fast alle Türken sind. Fern seiner Heimat entwickelt sich bei ihm ein aussergewöhnlicher Stolz auf seine Herkunft. Er ist Türke und das ist wahrscheinlich das, worauf er am meisten stolz ist. Er ist auch ein Moslem, aber das ist für ihn mehr ein Teil des Türkisch-Seins. Er arbeitet als Maler um Geld für seine Familie zu verdienen. Aber Maler zu sein ist nicht so ein grosser Teil seiner Identität. Als Maler zu arbeiten ist seine Art, für seine Familie zu sorgen, weil ein wahrer Türke gut für seine Familie sorgt. Der höchste Identitäts-Faktor ist also seine Volkszugehörigkeit.

Sein Sohn, der in der Schweiz geboren wurde und hier aufwächst, studiert an der Universität und wird schlussendlich Anwalt. Ein gut ausgebildeter Mann zu sein, wird zum wichtigsten Faktor in seinem Leben und seiner Identität. Sein Beruf ist das, was ihm ein gutes Gefühl gibt und ihn zufrieden sein lässt mit sich selbst. Im Beruf und seiner Bildung liegt sein Selbstwert und somit seine Identität. Der Sohn geniesst seine türkische Abstammung und geht seinem Vater zuliebe auch sporadisch mit in die Moschee zum Gebet. Aber Türkisch-sein ist für ihn niemals so wichtig, wie für seinen Vater.

Fazit: Die Mischung und Gewichtung der Identität gebenden Anteile sind beim Sohn anders, auch wenn alle Komponenten vorhanden sind, die der Vater auch hat.

Aus diesem Beispiel werden auch die Problemzonen der beiden Identitäten erkennbar.

  • Die Gefahr der traditionellen Identität ist Rassismus.
  • Die Gefahr der modernen Identität ist Arbeitssucht und Materialismus.

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Photo by Hassan OUAJBIR / Unsplash

Jesus ordnet die Komponenten neu

Was passiert, wenn Jesus in ein solches Leben kommt? Es passiert Folgendes:

Jesus steigt in der Prioritätsordnung nach oben, und zwar so hoch, wie du es ihm in deinem Herzen und Leben erlaubst und zugestehst. Ob Jesus an erster Stelle kommt und das letzte Wort in deinem Leben hat, wird in deinen Entscheidungen sichtbar. (Tim Keller)

Das Ziel der Jesus-Identität lautet: Jesus wird zum entscheidenden Validierer in deinem Leben. Seine Liebe zu dir wird die höchste und wichtigste Sache in deinem Leben. Alle anderen Identitätsfaktoren werden zurückgestuft, ohne dabei zerstört zu werden.

Natürlich kann der türkische Sohn aus dem Beispiel nicht gleichzeitig als Moslem und als Christ leben, wenn er zum Glauben an Jesus gefunden hat. Aber die islamischen Einflüsse seiner Kindheit und Jugend bleiben ein Teil seiner Lebensgeschichte, die er mit sich trägst und die Gott gebrauchen kann.

Alle Anteile, auch wenn sie in der Priorität sinken und nicht mehr hauptbestimmend sind, geben immer noch Auskunft über deine Identität, aber sie kontrollieren dich nicht mehr und zerstören dich auch nicht mehr, wenn du versagst. (Tim Keller)

Die meisten Kulturen und Religionen sagen im Grundansatz: Es geht um alles oder nichts! Wenn du zu unserer Religion gehörst, musst du gemäss unserer Ordnung essen, du musst dich so und so kleiden, du musst deine Familie verlassen und mit uns leben. Mit anderen Worten, sie walzen alle anderen Aspekte deiner Identität platt. Es sind totalitäre Identitäten.

Die Evangeliums-Identität hingegen basiert auf Gnade! Das bedeutet, es gibt nicht unzählige Regeln. Es gibt keine Essensvorschriften. Es gibt auch nicht «die» korrekte Kleidung um Gott zu gefallen. Warum? Weil du Gott schon gefällst, durch das Erlösungswerk von Christus!

Die Jesus-Identität ist eine vielschichtige Identität mit Jesus an erster und oberster Stelle! Aber alle anderen Komponenten sind immer noch da. Der Sohn aus dem Beispiel wird nicht nur Christ, sondern er ist ein türkischer Christ. Seine türkische Herkunft wird nicht eliminiert, sondern gehört weiterhin zu seiner Identität, genauso wie sein Beruf als Anwalt. Die Komponenten und Schichten der Jesus-Identität informieren immer noch darüber, wer du bist. Du hast Einsicht in diese Identitäts-Komponenten und bist ev. sogar Experte darin, ohne dass du diese Anteile zum Götzen erhebst und anbetest.

Die kulturelle Flexibilität des Christentums wird im Vergleich mit anderen Religionen deutlich. 80% aller Buddhisten leben in Asien, 90% aller Hindus in Indien und 80% aller Moslems im 10/40 Fenster von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Indonesien. Die Christen hingegen haben sich in ganz Europa, Amerika, Afrika und Asien ausgebreitet. Warum? Weil das Christentum die kulturell flexibelste aller Religionen ist. Weil Jesus eine Identität gibt, die auf Gnade basiert, welche die anderen Aspekte nicht einfach platt walzt.

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Photo by Hassan OUAJBIR / Unsplash

Beispiel 2

Wenn zwei Christen mit unterschiedlicher Hautfarbe zueinander sagen: „Wir sehen schon gar nicht mehr, dass wir eine unterschiedliche Hautfarbe haben“, dann wollen sie damit ausdrücken, dass ihre Hautfarbe nicht mehr ihre Identität bestimmt, sondern Jesus. Trotzdem bleibt die Hautfarbe Teil ihrer Identität. Denn Fakt ist, dass die Rasse, der soziale Status oder die Nationalität alles Dinge eines Menschen sind, die Teil von dem sind, wer er ist.

Die Jesus-Identität ist nicht totalitär! Sie zerstört nicht alle anderen Anteile deiner Identität. Sie stuft diese lediglich zurück, weil du nun zuallerst ein Gotteskind bist. Alles andere ist zweit-, dritt-, viertrangig. Es gibt deshalb nicht nur eine Art Christ zu sein, sondern verschiedene Arten von Christen. Und das ist gut so und von Gott gewollt.

Beispiel 3

Die moderne Identität stellt sich gerne als sehr weltoffen dar. Aber sie kann sehr totalitär sein! Ein Professor an der Yale-Universität, der viele Studenten aus dem Kontinent Afrika lehrte, erzählte folgende Geschichte. Er sagte, ein essentieller Teil davon, ein Afrikaner zu sein, ist der, dass du an eine unsichtbare Welt mit Geistern glaubst. Du glaubst an eine übernatürliche Welt. Du glaubst, die Welt ist beides, natürlich und auch übernatürlich. Du glaubst an Geister, gute und böse Geister. Das ist wesentlich für die meisten Afrikaner.

Wenn du als Afrikaner ein Stipendium an einer westlichen Universität kriegst, sagen sie zu dir: "Grossartig! Wir wollen deine afrikanische Diversität! Trage afrikanische Kleider und iss afrikanisches Essen! Aber so nebenbei: Es gibt keine Geister. Es gibt für alles eine wissenschaftliche Erklärung." Mit anderen Worten: Vordergründig wollen wir deine afrikanische Diversität. Aber wir werden das Herz deiner afrikanischen Identität zerstören und dich zu einem Westler machen.

Nun, der Glaube an die Existenz von Geistern gehört für einen Afrikaner dazu. Es kann aber zu Angst und Aberglaube führen. Nun kommt der Glaube an Christus und sagt: Lass uns die Bibel anschauen. In der Bibel steht: Es gibt Geister! Gute Geister und böse Geister. Engel und Dämonen. Ja, es gibt Geister, aber Jesus Christus hat über alle Geister triumphiert! Er hat sie durch seinen Tod am Kreuz überwunden! Wenn du in der Jesus-Identität lebst, brauchst du dich nicht mehr vor ihnen zu fürchten!

Die moderne Identität wird Afrikaner zu Europäern machen.
Aber der Glaube an Christus wird Afrikaner zu erneuerten Afrikanern machen! (Tim Keller)

Du bist ein afrikanischer Christ. Du wirst nicht plötzlich europäischer Christ. Oder asiatischer Christ. Wir sehen also, die kulturelle Flexibilität kommt aus der Identität in Christus, die auf Gnade basiert!


Das 4. Merkmal folgt nächste Woche.

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