/ Inspiration

Ich hab alles im Griff!

Sara Schneiter Sara Schneiter

Ein paar Gedanken zu Kontrolle und Abhängigkeit und was die Corona-Krise mit unseren Beziehungen macht.

Unser Leben wurde durch Covid-19 auf den Kopf gestellt, unsere Routine über den Haufen geworfen. Was bis vor Kurzem noch stabil erschien, zeigt sich über Nacht als fragil. Durch dieses kleine, unsichtbare Virus kommt unsere Welt ganz schön ins Wanken. Ängste und Verunsicherung machen sich breit. Die Kontrolle ist uns entgleitet. So fühlt es sich zumindest an. Aber hatten wir denn vorher alles im Griff?

Ich ertappe mich oft dabei, dass ich denke, ich hätte alles im Griff. Oder dabei, mir und andern vorzumachen, ich hätte alles unter Kontrolle, wenn ich merke, dass es eigentlich nicht so ist. Denn es ist in unserer Gesellschaft nicht populär, etwas nicht kontrollieren zu können. Gerne möchten wir alles bestimmen und wählen, wie es für uns stimmt.

Das Leben ist jedoch zerbrechlich und nicht in unserer Hand. Es kann sich von einem Moment auf den anderen alles verändern. Dies wird einem oft erst in Extremsituationen bewusst. So ging es mir zum Beispiel als ich, wie schon so oft, mit meinem Sohn die Strasse überqueren wollte. Wir warteten aufs grüne Licht und marschierten los. Mein Sohn befand sich bereits auf der Strasse - auf dem Zebrastreifen - als ein Auto vollgas bei Rot über die Ampel fuhr. Es fehlte nur wenig und das Auto hätte unser Kind erwischt. Ich war da gewesen, hatte auf ihn aufgepasst und trotzdem hätte ich einen Unfall nicht verhindern können.

Dandelion Flower
Photo by Antonio Poveda Montes / Unsplash

Auch die aktuelle Situation zeigt, wie schnell bisher Undenkbares möglich wird. Wie machtlos wir eigentlich sind. Wir können uns arrangieren, das Beste daraus machen, ja. Doch im Griff haben wir da nicht mehr viel. Ist das schlimm? Ich glaube, es ist sogar gut so. Denn es gibt Einen, der über uns wachen möchte. Es gibt jemand, den nichts überrascht oder aus der Ruhe bringt.

"Hör auf die Welt zu beherrschen", sagte Emanuel Hunziker vor einer Woche in seiner Livestream-Predigt. In anderen Worten, hör auf, alles unter Kontrolle haben zu wollen. Vertraue dich dem an, der mit Recht sagt: "Ich habe alles im Griff!" Jesus ist sein Name. Ihm gehorchen sogar die Wellen und der Wind. Er ist der Töpfer, wir sind der Ton. Er ist der Schöpfer, wir seine Kreationen. Er ist der Weinstock, wir die Reben. Die Rangordnung ist klar. Er ist der König, wir seine Diener. Er ist der Vater, wir seine Kinder. Wir sind abhängig von ihm.

Abhängig - das klingt negativ. Das Wort an sich ist jedoch neutral. Was es positiv oder negativ macht, ist, wovon wir abhängig sind. Oder würdest du die Abhängigkeit eines Babys von seinen liebevollen Eltern als negativ bezeichnen? Gibt es nicht vielmehr ein tiefes Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Halt, wenn ich schwach sein darf, weil jemand für mich sorgt? Wir haben vieles nicht in der Hand - mehr als wir uns oft eingestehen. Doch unser liebevoller Vater im Himmel ist souverän.

Parent and child
Photo by Guillaume de Germain / Unsplash

Jede Krise sei ein Test, sagte Emanuel Hunziker weiter in seiner Livestream-Predigt. Er forderte dazu auf, den Test zu durchlaufen. Die Frage ist: Was möchte Gott in meinem Leben testen? Diese Frage ist mir nachgegangen und hat mich bewegt.

Seit über einem Monat gilt Social Distancing - soziale Distanz zu den meisten Menschen. Zu Freunden, zu Fremden, Nachbarn, Bekannten und zu Familienmitgliedern der erweiterten Familie. Unsere sozialen Kontakte reduzieren sich nun auf wenige und immer dieselben Menschen. Zu diesen wenigen Menschen hingegen haben wir kaum Distanz, wir sind ständig mit ihnen zusammen. Diese Beziehungen intensivieren sich. Man kann einander kaum ausweichen. Man muss einander aushalten.

Darin ist mir klar geworden: Etwas, was ich definitiv lernen muss, ist, mich ganz auf mein Kind einzulassen. Ehrlich, aufrichtig, interessiert und liebevoll. Ohne abgelenkt zu sein. Nicht, dass ich das nicht könnte, es gibt immer wieder Momente, wo es mir gelingt und sowohl ich, als auch mein Sohn davon profitieren. Doch auch sehr oft beobachte ich mich selbst und stelle fest: Ich fliehe bei der erstbesten Gelegenheit. Ich beschäftige mich selbst um einen Grund zu haben, warum ich jetzt gerade nicht mit ihm Lampen reparieren kann.

Relaxing on Sunday. Me and my wife love drink some coffee and shoot.
Photo by BRUNO CERVERA / Unsplash

Und wie sieht es in der Beziehung zu Gott aus? Lenke ich mich auch da gerne ab? Gottes Nähe ist voller Liebe und Gott nahe zu kommen und nahe zu sein verändert mich. Zum Guten. Doch es konfrontiert mich auch immer wieder und das ist ungemütlich. In Gottes Gegenwart zu sein heisst eben auch mich selbst auszuhalten, denn Gott nimmt mich an, so wie ich bin. Er lässt sich auf mich ein, nimmt mich ernst und hört mir zu. Lass ich mich auch ganz auf ihn ein? Höre ich hin, was er sagen möchte?

Mein Alltag ist seit dem Lockdown ruhiger geworden. Ich bin weniger abgelenkt, weniger beschäftigt, weniger unter Druck von aussen. Und es ist mehr Raum für Beziehung, mehr Luft mich ganz auf die Menschen um mich herum einzulassen, sie an mich heranzulassen. Plötzlich brauch ich keinen guten Grund um eine gesellschaftliche Verpflichtung abzusagen, damit ich Zeit für die Familie habe. Denn es ist bereits alles abgesagt. Doch was niemand stornieren kann, ist die Möglichkeit mich auf meinen Vater im Himmel auszurichten und ihn ganz an mich heranzulassen. Ich kann es einfach tun. Jetzt. Überall.

In despair, but not lost. I try to remind myself, trials may come yet hope lies at dawn
Photo by whoislimos / Unsplash

Der Test ist wohl, ob ich es auch tue. Lass ich zu, dass meine wenigen sozialen Kontakte intensiviert werden? Dass diese Beziehungen profitieren? Lass ich zu, dass meine kostbarste Beziehung, jene zu meinem himmlischen Vater, tiefer, intensiver, stärker wird?

Ich habe mich entschieden mich darauf einzulassen. Den Test zu durchlaufen. Mich nicht unnötig zu beschäftigen und abzulenken, sondern immer wieder inne zu halten. Mich selbst auszuhalten und mich auf das Hier und Jetzt ganz einzulassen. Ich habe mich entschieden im Bewusstsein zu leben, dass ich vieles nicht im Griff habe und ich es auch nicht im Griff haben muss. Und du? Da ist ein Gott, dem auch du dich anvertrauen kannst. Jederzeit.

Ich hab alles im Griff!
Teilen