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Nichts verpassen

Josua Hunziker Josua Hunziker

Seit ich denken kann, jage ich den unendlichen Möglichkeiten des Lebens nach. Doch plötzlich werde ich dabei unterbrochen.

Kürzlich stapfte ich durch den Wald. Total alleine. Ich verbrachte ein freies Wochenende auf dem Schaffhauser Randen und hatte den ganzen Samstag Zeit. Einfach so. Keine Pläne - nur die vage Idee, zum Hagenturm zu wandern und dabei meinen Gedanken nachzuhängen und zu beten. Ich hatte alle Zeit der Welt. Eigentlich.

Plötzlich, als ich so vor mich hin marschierte, hörte ich ganz deutlich die leise Stimme des Heiligen Geistes: "Josua, warum gehst du eigentlich so schnell?" Verdutzt blieb ich stehen. Im ehrlichen Reflex antwortete ich, ohne lange zu überlegen: "Ich will nichts verpassen." "Aha." - das war die einzige Antwort die ich hörte. Und die hatte es ganz schön in sich.

Nichts verpassen wollen - eines meiner Lebensthemen. Die Möglichkeiten nutzen, erleben was es zu erleben gibt. Vorwärts marschieren, immer etwas schneller als der Rest. Zuerst ankommen, vorn mit dabei sein. All das war mir plötzlich ganz klar vor Augen.

"Warum glaubst du eigentlich, dass es vor dir mehr zu verpassen gibt als hinter dir? Oder als hier, wo du gerade jetzt bist?" hakte die leise innere Stimme nach, noch während ich obigen Gedanken nachhing.

Caught in the Snow
Photo by Elijah Hail / Unsplash

Ja - warum eigentlich? Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mein ganzes Leben lang verpasse ich ständig etwas. Also eigentlich verpasse ich ständig so ziemlich fast alles was passiert. Geschweige denn was ich verpasst habe bis ich überhaupt geboren wurde und was nach meinem Ableben noch alles geschehen wird. "Nichts verpassen?" Ich könnte gerade so gut den Wind einfangen oder die Wassertropfen des Rheins zählen wollen.

Eigentlich verpasse ich ständig so ziemlich fast alles was passiert

Und tatsächlich hatte diese kurze Konversation mit dem Heiligen Geist etwas sehr Befreiendes. Ist das "nichts verpassen wollen" erst einmal als grosse Illusion entlarvt, gewinnt das "Hier und Jetzt" plötzlich an Bedeutung. Ich werde frei, den Blick meiner Kinder wahrzunehmen und ihn liebevoll zu erwidern. Den Schnee auf der Tanne gleich vor meinem Fenster zu bestaunen. Die Not meines Nachbarn wahrzunehmen und auf ihn zuzugehen. Die feine Stimme des Heiligen Geistes zu hören.

Ich habe mich an diesem Wochenende entschieden, die Angst vor dem Verpassen auf dem Randen zurückzulassen. Manchmal will sie wieder über mich kommen. Doch ich will ihr keine Heimat mehr bieten. Ja, ich verpasse andauernd ganz viel. Doch ich habe neues Vertrauen geschöpft in den Gott, der nicht weit vorn und nicht weit hinter mir ist. Sondern hier und jetzt gegenwärtig. Und immer bereit für ein Gespräch.

Das will ich nicht mehr verpassen.

Nichts verpassen
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